Digitale Nomad:innen – Beschreibung eines Lebensmodells

Recruiting-Life

Vor Kurzem waren wir in einem Videochat mit einem jungen Unternehmer, der uns für die professionelle Ausspielung von Podcasts gewinnen wollte. Gleich vorweg: Er hat uns überzeugt.
Was aber wirklich inspirierend für uns war, waren die Gedanken, die in uns entstanden, während wir seiner Präsentation folgten.

Die Digitalisierung eröffnet neue Lebensformen

Er wirkte sehr professionell, fast schon konservativ mit seinem blauen Jackett und dem Einstecktuch. Dieses Erscheinungsbild wollte so gar nicht zu den Erwartungen passen, die wir uns im Vorfeld während der Vorbereitung auf seine Präsentation gemacht hatten. Wir rechneten mit einem StartUp-Unternehmer im „Casual Outfit“ und unseren Widerspruch im Kopf rundete ein Jagd-Gemälde im Hintergrund seines Schreibtisches ab.
Da wir in diesem Videocall viele schwierige Fragen an ihn richteten, die er mit einem sehr guten fachlichen Background beantwortete, wuchs das gegenseitige Vertrauen zueinander und am Ende des Gesprächs erzählten wir alle von unseren verschiedenen Lebens- und Berufshintergründen.
Richtig ins Staunen kamen wir dann, als unser Gesprächspartner uns offenbarte, dass er sich in diesem Augenblick in Zypern befände; in einer AirBNB-Unterkunft seit drei Monaten den Frühling und das schöne Wetter genießend.

Seine Koffer wären aber schon gepackt, sodass er bald in die Ukraine abreisen könne, wo die Zeit insbesondere ab Mai sehr schön wäre. Dort wolle er sich mit seinem aus Warschau anreisenden Geschäftspartner nach längerer Zeit wiedertreffen. Seine weiteren zehn Angestellten wären über den ganzen Erdball verteilt.
Endlich hatten wir hier mal ein lebendiges Beispiel für einen DIGITALEN NOMADEN vor Augen!
Wir überschütteten ihn natürlich mit Fragen zu seinem Leben und der Vereinbarkeit von Arbeit und Lifestyle, wie es für Recruiter:innen mit einer angeborenen Neugier auf andere Menschen typisch ist. Bei uns entspann sich dann im Nachhinein eine Diskussion über diesen Lebens- und Arbeitsstil, der hier etwas näher beschrieben werden soll.

Zur Begriffserklärung:

Ein/e digitale/r Nomade:in (auch Internet-Nomad:in, Büronomad:in, urban nomad) ist ein/e Unternehmer:in oder auch Arbeitnehmer:in, der/die fast ausschließlich digitale Technologien anwendet, um seine/ihre Arbeit zu verrichten und zugleich ein eher ortsunabhängiges beziehungsweise multilokales Leben führt.

Zu den persönlichen Voraussetzungen:

Es ist naheliegend, dass es Menschen gibt, die dieses Lebensmodell für sich unpassend finden.
Schwierig wird das digitale Nomad:innen-Tum zum Beispiel dann, wenn man in die Phase der Familiengründung eintritt, andere Familienmitglieder betreuen will oder einfach ein Mensch ist, der/die Beständigkeit braucht und mag – und natürlich darf keine Aversion gegenüber digitalen und technisch modernen Hilfsmitteln bestehen.
Positiv formuliert bedeutet dies, dass Menschen, die sich einen hohen Freiheitsgrad für ihr Leben und ihr Arbeiten wünschen und bereit sind, sich digital gut aufzustellen, ganz besonders gut dafür geeignet sind, digitale Nomad:innen zu werden.

Die Trennlinie zwischen Arbeits- und Privatleben verschwimmt mit dieser mobilen Lebensweise schnell bzw. kann nicht immer klar gezogen werden.

Daher wird jede/r digitale Nomad:in bewusst und stetig darüber nachdenken müssen, wie er/sie beide Aspekte zueinander gewichten möchte und aus welchem Grund er/sie diese Lebensform wählt.

Die Wahl dieser Lebensform ist zum Großteil sicherlich darin begründet, ein ortsunabhängiges Leben führen zu können, neue Menschen, Länder, Sprachen und den Alltag anderer Kulturen kennenzulernen oder auch darin, die hierdurch resultierenden Freiheiten der eigenen Zeiteinteilung genießen zu können.

Die Motivation dafür, dem Arbeitsalltag am frei gewählten Ort genug Raum und Zeit zu widmen, bezieht der/die digitale Nomade:in aus den vorgenannten Aspekten, die er/sie als positiv für seine/ihre Lebensform bewertet.
Für beide Rollen, Unternehmer:in oder Arbeitnehmer:in, ist ein besonders ausgeprägtes Vertrauen in die jeweils andere Seite eine grundlegende Basis der Zusammenarbeit im digitalen Nomadentum.

Eine Voraussetzung des Arbeitens ohne festen Wohnsitz ist die Definition der eigenen Rolle als digitale/r Nomad:in; dies gilt gleichermaßen für Unternehmer:in als auch Arbeitnehmer:in:Für den/die Unternehmer:in ist es wichtig, die eigene Arbeit für Kolleg:innen besonders transparent zu machen und zu prüfen, ob die Führung der Mitarbeiter:innen auch remote tatsächlich umzusetzen ist. Hierzu bedarf es klarer Absprachen und Regeln im Voraus sowie Routinen, mit denen Führungsarbeit gut durchzuführen ist.
Der/die Arbeitnehmer:in sollte die Erwartungen seines/seiner Arbeitgeber:in besonders genau kennen. Hierbei gilt es, Arbeitsziele klar in Umfang und Zeit festzuhalten, Ergebnisse pünktlich zuzusagen und umsetzen zu können. Auch hier ist Transparenz in der Arbeitsweise und Kooperationswille ein wichtiger Erfolgsgarant für die erfolgreiche Umsetzung des mobilen Arbeits- und Lebensstils.
Selbstredend gehören Disziplin und methodische Stärken auf beiden Seiten dazu.

Zu den technischen Voraussetzungen:

Wertschöpfung zu generieren tritt für den/die digitale/n Nomad:in keinesfalls in den Hintergrund, da er/sie neben dem üblichen Lebensunterhalt eine gute technische Ausstattung und am jeweiligen Ort ggf. auch einen separaten Arbeitsraum benötigt, um ungestört arbeiten zu können. Laptop und Smartphone gehören hierbei zur notwendigen Grundausstattung. Gleichzeitig müssen finanzielle Rücklagen für Kautionen, ggf. doppelte Haushaltsführung, Heimreisen oder andere Sonderinvestitionen gebildet werden.

Um die Arbeit mit Kolleg:innen und Kund:innen organisieren und dokumentieren zu können, bedarf es der Kenntnis und der virtuosen Bedienung verschiedener Online Collaborations Tools, digitaler Konferenz- und Präsentationsräume etc. Hinzukommen die individuell benötigten und branchenspezifischen Lizenzen zum Ausüben der jeweiligen Tätigkeit.
Das Angebot an solchen Hilfsmitteln hat sich insbesondere durch die Corona-Krise stark entwickelt und die generelle Bereitschaft und Offenheit, remote mit diesen Werkzeugen zu zusammenzuarbeiten hat sich in den letzten Monaten stark verbessert.

Rückblick, Ausblick und Fazit

Die Arbeitsform des digitalen Nomadentums ist nicht erst seit der Pandemie oder der Auswanderung von Influencern nach Dubai oder Mexiko ein Trendthema, das kontrovers diskutiert wird.
Digitale Nomad:innen gab es schon mit der Etablierung des massentauglichen Internets und entwickelte sich weiter durch das mobile Arbeiten per Laptop und Email. Die Geschwindigkeit und größere Datenvolumen wurden stetig gesteigert und durch internationales Datenroaming, VPNs und WLAN-Anbindungen an nahezu allen Orten der Welt ermöglicht.
In der Forschung und Entwicklung und durch die Globalisierung schon über Jahrzehnte unerlässlich hat das digitale Nomadentum einen dynamischen und besonderen Vorschub durch die Corona-Krise erfahren.

Natürlich kann man das normale Homeoffice nur in Teilen mit dem Lebens- und Arbeitsstil eines/einer digitalen Nomad:in vergleichen, jedoch ist mit dem Erreichen eines hohen Grades des mobilen Arbeitens der Weg ins digitale Nomadentum um einiges einfacher geworden.

Neben der technischen Umsetzbarkeit wächst die Bereitschaft aller Beteiligten, über dieses Modell konstruktiv nachzudenken, sobald der Wunsch hierzu entsteht. Frei nach dem Motto:
„Alles kann, nur die Wertschöpfung darf dabei nicht leiden“. Auf die Zukunft darf man also gespannt sein.
Zwar wurden vor Corona schon im Zuge der „New-Work-Szenarien“ immer wieder die Vorzüge des Remote-Arbeitens proklamiert, erhielten dann aber durch die pandemischen Schutzmaßnahmen eine ganz neue Dynamik in der Umsetzung.

Bild: Samer Daboul

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